Corona und die Geschlechtergerechtigkeit

Was läuft für Frauen anders als für Männer in der Krise? Wie wirken sich die schon bestehenden Asymmetrien zwischen den Geschlechtern in einer solchen Situation aus? Lesen sie mehr im aktuellen efas-Newsletter:

Corona verstärkt strukturelle Ungleichbehandlung

Am 27. Januar 2020 meldete das bayrische Gesundheitsministerium den ersten Corona-Fall Deutschlands. Die Fallzahlen stiegen rasant, das Virus wurde als extrem gefährlich eingestuft und am 13. März 2020 folgt der sogenannte Corona-Lockdown. Schulen, Kitas, Geschäfte, Restaurants, Kinos, Theater und vieles mehr wurden geschlossen. Am 20. März wurden Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen erlassen. 

Begleitend zu Maßnahmen im Gesundheitswesen sowie der Verpflichtung Masken zu tragen und Abstand von Mitmenschen zu halten, wurden relativ schnell sogenannte Corona-Hilfen verabschiedet. Sie sollen helfen, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern und Menschen mit Kindern bei der Betreuung unterstützen.

Neben einer Ausweitung des Kurzarbeiter_innengeldes (Kug), stehen für gesetzliche Versicherte Eltern fünf weiter Krankheitstage zur Betreuung von Kindern zur Verfügung, für Alleinerziehende zehn Tage. Wer coronabedingt Angehörige pflegt, soll bis zu 20 Tagen frei bekommen. Es gibt staatliche Hilfen für belastete Unternehmen. Für Künster_innen, Kleinselbstständige und Kleinunternehmer_innen greift die Grundsicherung. Eltern, die während des Lockdowns ihre Kinder unter 12 Jahren zu Hause betreut haben, erhielten eine Entschädigung für Lohnausfälle bis zu 20 Wochen, das gleiche gilt für Alleinerziehende, dabei wurden 67 % des Verdienstausfalls erstattet.

Bei der Diskussion, wem wie geholfen werden muss und soll. wurde interessanterweise sehr häufig diskutiert, dass dies die Gelegenheit wäre, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Diese Überlegungen blieben in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit aus, es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass sich die materielle Situation von Frauen verschlechtere und die Belastung zunehme. In nur wenigen Fällen konnte dies direkt belegt werden, weil die Daten dafür fehlten. Wir messen die Feinstaubbelastung an jeder Straßenecke, aber den Mental Flow, den ein Haushalt unter Corona-Bedingungen mit Kindenr zusätzlich leisten muss, wird so wenig gemessen, wie die Belastungen, denen Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch im Normalfall zugemutet werden.

Es ist daher wichtig, zunächst die Ausgangssituation von Frauen in der Geschlechterparität zu beleuchten, um die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen einordnen zu können.

Der durchschnittliche Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern mit 21% ist hinlänglich bekannt und über Jahre stabil. Der geringere Beschäftigungsgrad von Frauen mit einer Erwerbsquote von 76,6% gegenüber Männern, die zu 84,6% Erwerbstätig sind und die häufige Beschäftigung von Frauen in Teilzeit und anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen, vor allem in den alten Bundesländern, führt zu einem Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern im Laufe eines Jahres von 433 Mrd. Euro. Frauen arbeiten genauso viel wie Männer, sogar eine Stunde mehr in der Woche. Aber sie verrichten diese Arbeit zu 2/3 unbezahlt, bei Männern ist es umgekehrt.

Dies führt zu einem erheblichen Unterschied im Alterseinkommen, in Ostdeutschland beträgt der Unterschied zwischen Frauen und Männern 23% , in Westdeutschland 42%.

Es gäbe also genügend Gründe, bei Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung in Deutschland darüber zu diskutieren, wie die Maßnahmen gestaltet werden können, damit sie der Geschlechterungleichheit entgegenwirken.

Allerdings existieren auf Bundesebene hierfür keinerlei Instrumente. Die Analyse und Steuerung von öffentlichen Finanzen unter dem Aspekt der Geschlechtersensibilität ist im Bund ein schwarzer Fleck.

Eine weltweit durchgeführte Online-Umfrage der Charité zeigt, dass Frauen und ältere Menschen besonders von der Pandemie belastet sind. Für Deutschland liegen auf der Basis von 8 000 Befragten für die Zeit von Mai bis September erste Ergebnisse vor. Die Studie weist nach, dass neben weiteren Ergebnissen Frauen einen höheren Anstieg beim Stressniveau erleben. Der Studienleiter begründet dies damit, dass Frauen häufig mehrere Rollen gleichzeitig zu erfüllen hätten. 

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) veröffentlichte bereits am 15. April 2020 eine erste Studie zur „Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona“  In der Zeit vom 23. März bis 5. April wurden ebenfalls 8 000 Personen zu den Veränderungen ihrer Erwerbsarbeit durch den Lockdown befragt. Die Auswertung der Befragung zeigte, dass Frauen seltener als Männer im größeren Umfang im Vergleich zu vorher ihrer Erwerbsarbeit nachgehen. Sie gehen außerdem häufiger als Männer keiner Erwerbsarbeit mehr nach. Vor allem Eltern arbeiten weniger Stunden als vor der Pandemie. Auch ein Zusammenhang zwischen Haushaltseinkommen und Arbeitszeitanpassung konnte ermittelt werden. Für Haushalte, deren Einkommen vor der Pandemie gerade so oder nur schlecht zum Lebensunterhalt genügten, steigt die Wahrscheinlichkeit vom Ausschluss von Erwerbsarbeit. Daraus ergibt sich die Frage, wie sie während des Lockdowns mit ihrem Einkommen finanziell zurechtkommen, diese Frage bereitet Frauen und Eltern große Sorge. 

Dieses Bild bestätigt auch eine von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebene Studie  mit dem Titel „Rückschritt durch Corona“ vom August 2020. In dieser Online-Befragung gaben 27% der Frauen an, ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduziert zu haben, aber nur 16% der Männer. Je geringer das Haushaltseinkommen desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen die Sorge- und Betreuungsarbeit übernehmen. Finanzielle Überlegungen spielten dabei eine wesentliche Rolle.

Auch die Finanzen selbst tragen zusätzlich zu einer ungleichen Verteilung der Belastung durch Corona bei. Zurzeit beläuft sich das Kurzarbeitsgeld (Kug) zunächst auf 77% und ab dem vierten Monat auf 87%des ausgefallenen Nettolohns.  Auch die Erstattungsleistung für die Erwerbsarbeit in Folge von Kinderbetreuung bemisst sich am Nettolohn. Die Höhe des Nettolohns wird unter anderem durch die Steuerklasse determiniert. Frauen, vor allem in westlichen Bundesländern, die verheiratet oder verpartnert sind, sind häufig in Steuerklasse V eingruppiert. In Steuerklasse V gibt es keine Vorweganrechnung von Steuerfreibeträgen wie Grund- und Kinderfreibetrag. Deshalb erhalten Personen in Steuerklasse V auch weniger Erstattungsleistungen. Dies gilt auch für alle anderen Lohnersatzleistungen, also das Eltern-, Kranken- oder Arbeitslosengeld.

Welchen Umfang diese finanzielle Schlechterstellung durch die Corona-Hilfsmaßnahmen für Frauen tatsächlich annimmt, lässt bis dato schwer einschätzen. Allerdings wird sie mit Andauern der notwendigen Hilfen ein erhebliches Ausmaß erreichen und die grundsätzliche finanzielle Benachteiligung von Frauen weiter verschärfen. 

Obwohl die Frage der Geschlechtergerechtigkeit im Grundgesetz verankert ist und der Staat den Auftrag hat, aktiv zu Beseitigung von Ungleichbehandlung beizutragen, wird dieses Ziel in der Entwicklung von wirtschaftlichen Nothilfen nie mitgedacht.

Angezeigt wäre eine kurzfristige, mittelfristige und langfristige Analyse der Auswirkungen auf die Geschlechter vor der Entscheidung über Hilfsmaßnahmen. Bei Andauern der durch die Pandemie ausgelösten Krise kann Schnelligkeit nicht mehr als Argument verwendet werden, Gender Budgeting zu unterlassen. Dies würde ermöglichen, diese Krise auch als Chance zu begreifen, Geschlechtergerechtigkeit zu forcieren, Hand in Hand mit einer innovativen Umweltpolitik.