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Corona und die Geschlechtergerechtigkeit

Was läuft für Frauen anders als für Männer in der Krise? Wie wirken sich die schon bestehenden Asymmetrien zwischen den Geschlechtern in einer solchen Situation aus? Lesen sie mehr im aktuellen efas-Newsletter:

Corona verstärkt strukturelle Ungleichbehandlung

Am 27. Januar 2020 meldete das bayrische Gesundheitsministerium den ersten Corona-Fall Deutschlands. Die Fallzahlen stiegen rasant, das Virus wurde als extrem gefährlich eingestuft und am 13. März 2020 folgt der sogenannte Corona-Lockdown. Schulen, Kitas, Geschäfte, Restaurants, Kinos, Theater und vieles mehr wurden geschlossen. Am 20. März wurden Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen erlassen. 

Begleitend zu Maßnahmen im Gesundheitswesen sowie der Verpflichtung Masken zu tragen und Abstand von Mitmenschen zu halten, wurden relativ schnell sogenannte Corona-Hilfen verabschiedet. Sie sollen helfen, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern und Menschen mit Kindern bei der Betreuung unterstützen.

Neben einer Ausweitung des Kurzarbeiter_innengeldes (Kug), stehen für gesetzliche Versicherte Eltern fünf weiter Krankheitstage zur Betreuung von Kindern zur Verfügung, für Alleinerziehende zehn Tage. Wer coronabedingt Angehörige pflegt, soll bis zu 20 Tagen frei bekommen. Es gibt staatliche Hilfen für belastete Unternehmen. Für Künster_innen, Kleinselbstständige und Kleinunternehmer_innen greift die Grundsicherung. Eltern, die während des Lockdowns ihre Kinder unter 12 Jahren zu Hause betreut haben, erhielten eine Entschädigung für Lohnausfälle bis zu 20 Wochen, das gleiche gilt für Alleinerziehende, dabei wurden 67 % des Verdienstausfalls erstattet.

Bei der Diskussion, wem wie geholfen werden muss und soll. wurde interessanterweise sehr häufig diskutiert, dass dies die Gelegenheit wäre, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Diese Überlegungen blieben in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit aus, es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass sich die materielle Situation von Frauen verschlechtere und die Belastung zunehme. In nur wenigen Fällen konnte dies direkt belegt werden, weil die Daten dafür fehlten. Wir messen die Feinstaubbelastung an jeder Straßenecke, aber den Mental Flow, den ein Haushalt unter Corona-Bedingungen mit Kindenr zusätzlich leisten muss, wird so wenig gemessen, wie die Belastungen, denen Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch im Normalfall zugemutet werden.

Es ist daher wichtig, zunächst die Ausgangssituation von Frauen in der Geschlechterparität zu beleuchten, um die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen einordnen zu können.

Der durchschnittliche Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern mit 21% ist hinlänglich bekannt und über Jahre stabil. Der geringere Beschäftigungsgrad von Frauen mit einer Erwerbsquote von 76,6% gegenüber Männern, die zu 84,6% Erwerbstätig sind und die häufige Beschäftigung von Frauen in Teilzeit und anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen, vor allem in den alten Bundesländern, führt zu einem Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern im Laufe eines Jahres von 433 Mrd. Euro. Frauen arbeiten genauso viel wie Männer, sogar eine Stunde mehr in der Woche. Aber sie verrichten diese Arbeit zu 2/3 unbezahlt, bei Männern ist es umgekehrt.

Dies führt zu einem erheblichen Unterschied im Alterseinkommen, in Ostdeutschland beträgt der Unterschied zwischen Frauen und Männern 23% , in Westdeutschland 42%.

Es gäbe also genügend Gründe, bei Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung in Deutschland darüber zu diskutieren, wie die Maßnahmen gestaltet werden können, damit sie der Geschlechterungleichheit entgegenwirken.

Allerdings existieren auf Bundesebene hierfür keinerlei Instrumente. Die Analyse und Steuerung von öffentlichen Finanzen unter dem Aspekt der Geschlechtersensibilität ist im Bund ein schwarzer Fleck.

Eine weltweit durchgeführte Online-Umfrage der Charité zeigt, dass Frauen und ältere Menschen besonders von der Pandemie belastet sind. Für Deutschland liegen auf der Basis von 8 000 Befragten für die Zeit von Mai bis September erste Ergebnisse vor. Die Studie weist nach, dass neben weiteren Ergebnissen Frauen einen höheren Anstieg beim Stressniveau erleben. Der Studienleiter begründet dies damit, dass Frauen häufig mehrere Rollen gleichzeitig zu erfüllen hätten. 

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) veröffentlichte bereits am 15. April 2020 eine erste Studie zur „Erwerbsarbeit in Zeiten von Corona“  In der Zeit vom 23. März bis 5. April wurden ebenfalls 8 000 Personen zu den Veränderungen ihrer Erwerbsarbeit durch den Lockdown befragt. Die Auswertung der Befragung zeigte, dass Frauen seltener als Männer im größeren Umfang im Vergleich zu vorher ihrer Erwerbsarbeit nachgehen. Sie gehen außerdem häufiger als Männer keiner Erwerbsarbeit mehr nach. Vor allem Eltern arbeiten weniger Stunden als vor der Pandemie. Auch ein Zusammenhang zwischen Haushaltseinkommen und Arbeitszeitanpassung konnte ermittelt werden. Für Haushalte, deren Einkommen vor der Pandemie gerade so oder nur schlecht zum Lebensunterhalt genügten, steigt die Wahrscheinlichkeit vom Ausschluss von Erwerbsarbeit. Daraus ergibt sich die Frage, wie sie während des Lockdowns mit ihrem Einkommen finanziell zurechtkommen, diese Frage bereitet Frauen und Eltern große Sorge. 

Dieses Bild bestätigt auch eine von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebene Studie  mit dem Titel „Rückschritt durch Corona“ vom August 2020. In dieser Online-Befragung gaben 27% der Frauen an, ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduziert zu haben, aber nur 16% der Männer. Je geringer das Haushaltseinkommen desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen die Sorge- und Betreuungsarbeit übernehmen. Finanzielle Überlegungen spielten dabei eine wesentliche Rolle.

Auch die Finanzen selbst tragen zusätzlich zu einer ungleichen Verteilung der Belastung durch Corona bei. Zurzeit beläuft sich das Kurzarbeitsgeld (Kug) zunächst auf 77% und ab dem vierten Monat auf 87%des ausgefallenen Nettolohns.  Auch die Erstattungsleistung für die Erwerbsarbeit in Folge von Kinderbetreuung bemisst sich am Nettolohn. Die Höhe des Nettolohns wird unter anderem durch die Steuerklasse determiniert. Frauen, vor allem in westlichen Bundesländern, die verheiratet oder verpartnert sind, sind häufig in Steuerklasse V eingruppiert. In Steuerklasse V gibt es keine Vorweganrechnung von Steuerfreibeträgen wie Grund- und Kinderfreibetrag. Deshalb erhalten Personen in Steuerklasse V auch weniger Erstattungsleistungen. Dies gilt auch für alle anderen Lohnersatzleistungen, also das Eltern-, Kranken- oder Arbeitslosengeld.

Welchen Umfang diese finanzielle Schlechterstellung durch die Corona-Hilfsmaßnahmen für Frauen tatsächlich annimmt, lässt bis dato schwer einschätzen. Allerdings wird sie mit Andauern der notwendigen Hilfen ein erhebliches Ausmaß erreichen und die grundsätzliche finanzielle Benachteiligung von Frauen weiter verschärfen. 

Obwohl die Frage der Geschlechtergerechtigkeit im Grundgesetz verankert ist und der Staat den Auftrag hat, aktiv zu Beseitigung von Ungleichbehandlung beizutragen, wird dieses Ziel in der Entwicklung von wirtschaftlichen Nothilfen nie mitgedacht.

Angezeigt wäre eine kurzfristige, mittelfristige und langfristige Analyse der Auswirkungen auf die Geschlechter vor der Entscheidung über Hilfsmaßnahmen. Bei Andauern der durch die Pandemie ausgelösten Krise kann Schnelligkeit nicht mehr als Argument verwendet werden, Gender Budgeting zu unterlassen. Dies würde ermöglichen, diese Krise auch als Chance zu begreifen, Geschlechtergerechtigkeit zu forcieren, Hand in Hand mit einer innovativen Umweltpolitik.

Unbezahlte Arbeit in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

Das Volumen der unbezahlten Arbeit ist größer als das Volumen der bezahlten Arbeit in Deutschland und Frauen leisten sie überproportional. Wenn wir die unbezahlte Arbeit als Baustein unseres gesellschaftlichen Wohlstandes betrachten, sollte sie auch in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dargestellt werden, dass würde dann wie folgt aussehen:

„if women counted“: die unbezahlte und die bezahlte Ökonomie / Beispiel Deutschland 

In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) kann auch das Arbeitsvolumen in den Wirtschaftsfaktoren abgebildet werden. Gemeinhin wird dies geschlechtsunspezifisch ausgewiesen. Damit wird verschleiert wer innerhalb einer Gesellschaft wie viel arbeitet. Wird die unbezahlte Arbeit wie hier parallel dargestellt wird deutlich, die unbezahlte Care-Ökonomie ist vom Arbeitsvolumen her nur ein wenig kleiner als die gesamte bezahlte Ökonomie (inkl. des öffentlichen Sektors). In der unbezahlten Ökonomie verausgaben auch Männer einen signifikanten Anteil ihrer gesamten Arbeitsstunden – dennoch ist die unbezahlte Ökonomie weiterhin ein von Frauen dominierter Sektor der Gesamtökonomie. „if women counted“: die unbezahlte Ökonomie sichtbar machen –  Frauenarbeit sichtbar machen – die gesamte Ökonomie abbilden

Zeitbudgetstudien werden in Deutschland alle zehn Jahre erstellt. Ihr Ziel ist es, eine repräsentative Abbildung davon zu geben, wie die in Deutschland lebenden Menschen ihre Zeit verwenden. Haushaltstätigkeiten, Kinderbetreuung, und andere unbezahlte Care-Arbeiten werden hier ebenso abgefragt, wie Freiwilligenarbeit, Gartenarbeit, Körperpflege, Lohnarbeit, u.v.m. Auf Basis dieser Zeitbudgetanalysen lässt sich nach Geschlecht aufgeschlüsselt kalkulieren, wie gross auf gesamtwirtschaftlichem Niveau das Arbeitsvolumen verschiedener Tätigkeiten ist – z.B. wie in diesem Faktenblatt von der unbezahlten Care- und Hausarbeit (hier „lediglich“ Kinderbetreuung, Altenpflege und Hausarbeit). 

Demgegenüber stellen wir auf Basis der Daten aus dem Mikrozensus die Arbeitsvolumen nach Geschlecht aufgeschlüsselt dar bezogen auf ausgewählte Wirtschaftszweige der bezahlten Ökonomie (inklusive des öffentlichen Sektors). 

So entsteht ein nach Geschlecht differenziertes Bild von den Arbeitsvolumina in der gesamten Ökonomie – der bezahlten wie auch der unbezahlten.

 

Aus diesen Daten ergeben sich unter anderem folgende Resultate: 

  1. Die unbezahlte Care-Ökonomie ist vom Arbeitsvolumen her ein riesiger Sektor der Gesamtökonomie! Die unbezahlte Hausarbeit ist vom Arbeitsvolumen her der mit Abstand größte Sektor der Gesamtökonomie (der einzige 6-stellige Sektor in Millionen!).
  2. Männer investieren ihre Arbeitskraft weiterhin schwerpunktmäßig in die bezahlte Ökonomie. Allerdings investieren sie auch einen signifikanten Anteil ihrer Arbeitskraft in die unbezahlte Ökonomie. Hier verausgaben sie 80% von den Arbeitsstunden die Frauen verausgaben. Geschlechterannäherungen in der unbezahlten Ökonomie sind also statistisch sichtbar, allerdings: Frauen machen in der unbezahlten Ökonomie v.a. in der Hausarbeit mehr, als die Männer. Kinderbetreuung und Pflege weisen nur noch leichte Ungleichheiten in der Geschlechterverteilung auf. 
  3. Die überwiegende Anteil der Care-Arbeit findet in Deutschland weiterhin in der unbezahlten Ökonomie statt. Diese Ökonomie ist vom Arbeitsvolumen her also der relevante Sektor in der Care-Ökonomie. Die „Kommodifzierungs-These“ (im Hinblick auf Care-Arbeit) ist mit einem Blick auf die Arbeitsvolumen für Deutschland nur eingeschränkt haltbar. Der Sektor „kommodifizierte Care-Öknomie“ (Gastgewerbe, persönliche u. haushaltsnahe Dienstleistungen) ist insgesamt vom Arbeitsvolumen her vergleichsweise unbedeutend, der Sektor der „öffentlichen Care-Ökonomie“ (öffentliche Erziehung, Gesundheit, Soziales) macht vom Arbeitsvolumen her rund die Hälfte des Arbeitsvolumens der unbezahlten Care-Ökonomie aus.
  4. Weiterhin Arbeiten mehr Männer in der bezahlten Ökonomie und mehr Frauen in der unbezahlten Ökonomie. In der Grafik zum Arbeitsvolumen, die Sie hier vorliegen haben, scheint es so, als würden im Gesamten (bezahlt und unbezahlt) Frauen etwas weniger arbeiten als Männer ( 183894,5 vs. 223026,9 Millionen Stunden); Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den Daten zur bezahlten Arbeit vom Mikrozensus kleinere und geringfügige Tätigkeiten eher unter den Tisch fallen (siehe Vorgehensweise Arbeitsvolumen), die tendenziell eher von Frauen ausgeführt werden. Das Volumen von der Arbeit (bezahlt und unbezahlt) von Frauen und Männer ist im Gesamten nahezu gleich, folgt man den Anhaben der Zeitbudgetstudien (diese Studien kommen zu dem  Schluss, dass Frauen im Schnitt eine Stunde mehr die Woche bezahlt und unbezahlt arbeiten als Männer).
  5. Wenn das produzierende Gewerbe inklusive der wirtschaftsnahen Dienstleistungen mit dem Dienstleistungssektor verglichen wird, fällt auf, dass der industrielle Sektor in Deutschland immer noch vergleichsweise bedeutsam ist – trotz der sog. „Dienstleistungsgesellschaft“ – und daneben  der Sektor der unbezahlten Arbeit weiterhin sehr groß ist. 

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Quellen und Bemerkungen zu den Berechnungen

Grundsätzliche statistische Bemerkungen:

Es ist nicht einfach, eine solche Darstellung, wie wir sie gemacht haben, in Deutschland zu erstellen, v.a. weil geschlechtsspezifisch differenzierte Daten in den statistischen Erhebungen Mangelware sind – und der Dienstleistungssektor ein statistisch nur sehr grob erfasster Sektor ist. Die Zusammenführung der Daten des Arbeitsvolumen von Männer und Frauen in der bezahlten und unbezahlten Arbeit nach Sektoren und Wirtschaftszweigen gestaltet sich auf Grund der zur Verfügung stehenden Daten als Herausforderung. Deshalb seien hier noch etwas ausführlichere Bemerkungen zu unserer Vorgehensweise gemacht. 

Erstes statistisches Problem ist die Erstellung eines Datensatzes aus mehreren unterschiedlichen statistischen Quellen. Das Volumen der unbezahlten Arbeit wird in der Bundesrepublik Deutschland alle zehn Jahre erhoben, zuletzt im Jahre 2012/2013. Die Daten wurden im Jahre 2015 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt standen für das Volumen der bezahlten Arbeit aufgeschlüsselt nach Wirtschaftszweigen nicht mehr alle Daten zur Verfügung. Deshalb beziehen sich einige Teile dieses Tabellenabschnitts auf das Jahr 2015. Auch das Volumen der bezahlten Arbeit insgesamt wird in der Detailfreude wie sie für unsere Analysen notwendig ist nicht in einer Statistik veröffentlicht. Deshalb haben wir notwendiger weise unterschiedliche statistische Quellen zusammengeführt.

Zu wünschen wäre eine solche veröffentlichte Darstellung auf der Grundlage von Arbeitsmarktdaten durch die Agentur für Arbeit in Kooperation mit dem Bundesamt für Statistik. Die Daten liegen vor, werden aber nicht veröffentlicht.

Vorgehen:

Das Volumen der unbezahlten Arbeit ist der Zeitbudgetanalyse 2012/2013 des Statistischen Bundesamtes entnommen. Die Zeitbudgeterhebung weist Arbeitsstunden in einer Woche in Tausend für Männer und Frauen ab dem Alter von 10 Jahren aus. Diese haben wir auf ein Jahr hochgerechnet.

Die Statistische Aufarbeitung des Bundesamtes weist einzelne und summierte Tätigkeiten getrennt nach Männer und Frauen ab dem Alter von 10 Jahren pro Tag als Mittelwert über eine Woche aus. Wir haben für unseren Zusammenhang die Bereiche Haushaltsführung, Kinderbetreuung und Pflege und  unbezahlte Arbeit nach Frauen und Männern getrennt ab 10 Jahren, pro Tag, aufgeschlüsselt in Hauthalsführung gesamt, Kinderbetreuung und Pflege im Haushalt. Diese Zeiten wurden auf Dezimalsystem umgerechnet und aufs Jahr (52 Wochen) hochgerechnet. Zur Erfassung des Arbeitsvolumens wurde der Anteil an der Bevölkerung über 10 Jahren getrennt nach Geschlecht multipliziert.

Das Volumen der bezahlten Arbeit wurde dem Mikrozensus als amtliche Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt in Deutschland, entnommen. Die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union (EU-Arbeitskräftestichprobe) ist in den Mikrozensus integriert. Die Daten aller Menschen, die einer Arbeit nachgehen sind erfasst, deshalb sind Minijober*innen, mithelfende Familienangehörige, Selbstständige und sozialversicherte Beschäftigte inkludiert. Auch diese Erhebung weist die Wochenarbeitsstunden aus, die wir aufs Jahr hochgerechnet haben. Grundlage sind hierbei 52 Wochen.

Die Erhebungen des Mikrozensus sind nicht sehr genau (weiteres hierzu siehe: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Methoden/Mikrozensus.htm, 13.05.201) und weisen Abweichungen zu anderen, vergleichbaren Erhebungen auf. Für unsere Zwecke sind sie jedoch genau genug und es handelt sich in Deutschland um die einzige Statistik, in der Arbeitsvolumina nach Männern und Frauen getrennt ausgewiesen werden.

Um die Darstellung des Volumens der bezahlten Arbeiten möglichst detailliert im Bereich der Dienstleistung und der öffentlichen bezahlten Arbeit darstellen zu können, wurden in Einzelfällen Summen aus Statistiken der Agentur für Arbeit hinzugezogen, die aus dem Jahr 2015 stammen. Zahlen aus dem Jahre 2012 waren in dieser Detailtreue nicht zugänglich.

Die Gesamtdarstellung kann unter statistischen Gesichtspunkten im besten Fall Größenordnungen darstellen. Die im Zuge der Anstrengungen, die bei Ihrer Erstellung unternommen werden mussten, bitte wir zu würdigen.

In Deutschland ist dies der erste Versuch einer solchen Darstellung.

Im Vergleich zur Darstellung der Schweizer Arbeitsvolumina ist trotzdem festzustellen, dass dieselbe Aufschlüsselung nicht möglich ist. Unter anderem lassen sich die öffentliche und private Dienstleistungen in Bildung/ Gesundheit/ Soziales anhand der Datenlage in Deutschland nicht gesondert aufführen._______________________________________________________

Januar 2018 Dr. Christine Rudolf und Dr. Silke Chorus 

Bedingungsloses Grundeinkommen

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird immer breiter öffentlich diskutiert, wie so oft fehlt die feministische Perspektive oder sie wird verzerrt dargestellt. Die Mitglieder der Gender AG von Attac haben sich intensive mit dem Thema befasst und folgenden Text zusammengestellt:

Bedingungsloses Grundeinkommen_eine feministische Sicht Eine Zusammenstellung der wichtigsten Problemstellungen

1. Höhe des Grundeinkommens/Personenkreis Allgemein

Aus unserer* Sicht sollte die Forderung nach einem Grundeinkommen sicherstellen (so wie es auch bei der Sozialhilfe sein sollte), dass ein finanzielles Auskommen garantiert wird. Dieses entspricht einem Betriebs- bzw. Haushaltbudget, das eine ökonomische Voraussetzung ist für unbezahlte Care- und Hausarbeit und für elementare Konsumausgaben (Kleidung, Zeitungsabos etc.) schafft. Letztlich dient ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) vor allem dazu, das finanzielle Auskommen respektive den Betrieb von Haushalten zu sichern und damit unbezahlte Arbeit zu ermöglichen. Die Wohnung, Energie und Rohstoffe fürs Kochen sind finanziert, nicht aber der Arbeitsaufwand für das Zubereiten von Mahlzeiten oder das Abwaschen von Geschirr. WIDE S. 5

Kinder

Dabei darf eines keine Unterschiede geben zwischen Erwachsen und Kindern, sodass wirklich jedem Menschen, also auch Kindern, das volle Grundeinkommen zusteht. Es sind gerade Kinder, die eine qualitativ hochwertige Erziehung und Bildung benötigen. Winker/S. 2

Migrant*innen

Migration, Illegalität, Flucht – wer bekommt das Grundeinkommen? Die Debatte klammert einen Großteil der Frauen in spezifischen Problemlagen und mit Minderheiten-Zugehörigkeit aus: Die feministische Perspektive muss auch fragen, wem nach welchen Kriterien das Grundeinkommen zustehen soll. Migrant*innen, Sans-Papiers (sogenannte „illegale“), Schwarzarbeiter*innen kommen in der Debatte selten vor. Die Festlegung, ab welchem Aufenthaltsstatus und welcher – dauer das Grundeinkommen gezahlt wird, ist unter Gerechtigkeitsaspekten entscheidend. Was passiert beispielsweise mit einer aus Zwangsprostitution oder einer arrangierten Ehe geflohenen Frau? Diese Frauen brauchen Sicherheit und Schutz, auch materiellen.

Auch pekär, beispielsweise in Haushalten beschäftige Menschen würden von einem BGE profitieren. Der Feministische Diskurs muss auch hier für Aufmerksamkeit sorgen, Fragen stellen und für Geschlechtergerechtigkeit in komplexen Problemlagen streiten. Böll S. 2/Winkler S. 5

2. Finanzierung des Grundeinkommens

Es muss über eine Umverteilung zwischen reich und arm realisiert werden. Zwischen gut verdienenden Erwerbstätigen ohne Reproduktionsverpflichtungen gegenüber Dritten und Menschen, die aufgrund ihrer Fürsorgeverpflichtungen nur Teilzeit erwerbstätig sein können oder vom Erwerbsarbeitsmarkt ganz ausgegrenzt werden. Das bedeutet, dass das Grundeinkommen nicht neutral über die Mehrwertsteuer oder eine andere Art von Konsumsteuer, sondern über eine erhöhte

und konsequente Besteuerung von Gewinnen und Kapitalvermögen sowie einer Erhöhung der Einkommensteuer für Besserverdienende realisiert werden sollte. Winker/S. 2

Die Finanzierung der Mehrkosten, die die Einführung eines BGE auslöst, müssen deshalb auf dem Wege der Rückverteilung von oben nach unten erfolgen, d.h. durch eine Finanzierung über die Besteuerung von Einkommen, Vermögen, Erbschaft, Unternehmensgewinnen und Finanzgeschäften. Es darf nicht zu einer materiellen Schlechterstellung breiter Teile der Bevölkerung kommen. Denknetz 2011 S. 315

Einige BGE-Modelle sehen vor, die Sozialversicherungen und weitere soziale Sicherungssysteme teilweise oder ganz aufzuheben. AHV/IV, Sozialleistungen, Gelder für Arbeitslose sollen durch das Grundeinkommen ersetzt und die dadurch frei werdenden Geldmittel zur Finanzierung des BGE beigezogen werden. Eine solche Lösung, die das BGE mit „Substitutionsgewinnen“ finanzieren will, führt zu einer Schlechterstellung eines grossen Teils der Bevölkerung und wird von uns abgelehnt. Ebenso lehnen wir die Aufhebung des Versicherungsobligatoriums und die Überführung der entsprechenden Versicherungen ins Privatrecht, wie dies in einigen Modellen vorgeschlagen wird, ab. Denknetz 2011 S. 314

3. Grundeinkommen und staatliche Leistungen

Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn es mit einem qualitativ hochwertigen Ausbau staatlicher Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereiche verbunden wird. Diese Angebote müssen steuerfinanziert ohne Gebühren angeboten werden. Ansonsten wird das bedingungslose Grundeinkommen zu einem politischen Taschenspielertrick… Winker/S. 2

Die Höhe der Löhne im Gesundheits- Sozial- und Bildungswesen hängen wesentlich von Staatsausgaben ab, dies müssen steigen nicht fallen mit oder ohne BGE. WIDE S. 7

Mit der Ausschüttung eines bedingungslosen Grundeinkommens besteht die Gefahr, dass sich die Gesellschaft aller weiteren Verpflichtungen entzieht und insbesondere die Verantwortung für eine gute soziale Infrastruktur an die Individuen delegiert. Einer solchen Entwicklung ist mit aller Deutlichkeit entgegen zu treten: Ein guter Service Public mit qualitativ hochstehenden Bildungs-, Beratungs- und Betreuungsleistungen, ist nach wie vor wichtig, wenn das BGE ein emanzipatorisches Projekt sein soll. Denknetz 2011 S. 315

4. Anforderungen an das Grundeinkommen/Prekarisierung

Selbstverständlich müssen auch nach Einführung des Grundeinkommens all die Maßnahmen vorangetrieben werden, um Erziehenden und Pflegenden eine Vereinbarkeit ihrer Fürsorgeaufgaben mit Erwerbsarbeit, mit politischer Arbeit oder mit anderen Tätigkeiten, für die sie sich entscheiden, zu ermöglichen. Es gilt auch hier weiterhin Forderungen nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung und einem Mindestlohn aufrechtzuerhalten. Winker/S. 2

Wir bezweifeln jedoch, dass ein BGE Frauen auch von ihren nach wie vor de facto existierenden Aufgaben und Pflichten als Mütter, Betreuerinnen und Pflegerinnen entlasten und ihnen den Zugang zu anderen Tätigkeiten öffnen und damit ihre Positionen auf den Erwerbsarbeitsmärkten verbessern kann. WIDE S. 6

Politisch und im Alltagsverstand muss dieser zwischenmenschliche Bereich aufgewertet werden und es müssen vor allem Hebel der Arbeitszeitverkürzung so gesetzt werden, dass sich Männer wie Frauen der fürsorglichen Arbeit um Mensch und Natur widmen. Haug S. 3

BGE-Modelle müssen auf ihre Wirkungen auf das Lohngefüge hin geprüft werden. Die BGE-Einführung darf nicht dazu führen, dass die Löhne breiter Bevölkerungskreise sinken. Denknetz 2011 S. 315

Wir möchten betonen, dass wir trotz unserer Einwände die Kritik an der aktuellen gesellschaftlichen Organisation von Arbeit und Einkommen mit den BefürworterInnen des BGE teilen. WIDE S. 8

Sowohl Working-Poor-Löhne als auch die finanziellen Bedingungen der Sozialhilfe sind schlicht ungenügend. Sie führen zunehmend zu Zwangsarbeit unter prekären, menschenunwürdigen Bedingungen. Auf jeden Fall müssen für Menschen ohne oder mit nichtexistenzsichernden Erwerbseinkünften bessere, menschenwürdigere Lösungen gefunden werden. WIDE S. 8

BGE ist also eine Antwort auf die Existenz eines Prekariats in dieser Zeit, dessen Zahl ständig zunimmt. Das Ziel, ein Recht auf Existenzsicherung ohne staatliche Bevormundung zu haben, ist dabei nicht notwendig das Ziel der Prekarier selbst, die wohl selber ein Recht auf gut bezahlte Erwerbsarbeit und ein sinnvolles Leben vorziehen mögen. Haug S. 9/10

Es stellt sich das BGE nicht die Frage nach der Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, so auch nicht nach der Hegemonie. Haug S. S. 10

Bis heute ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Punkto (bezahlter) Erwerbsarbeit und (unbezahlter) Haus- und Fürsorgearbeit eklatant. Ein Grundeinkommen – und ich bin eine dezidierte Anhängerin der Idee – könnte den Effekt haben, dass diese Spaltung weiter besteht und sogar zementiert wird. Denn ein Grundeinkommen würde ja lediglich einen Einkommens-Sockel darstellen, das Existenzminimum. Und wenn wir es einfach so laufen lassen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass am Ende vorwiegend Männer gutes Geld verdienen, weil sie nämlich trotz Grundeinkommen einer einkommensträchtigen Erwerbsarbeit nachgehen, während vorwiegend Frauen sich mit dem Sockel begnügen und die erwerbsarbeitsfreie Zeit verwenden, um für Kinder, Kranke und Alte zu sorgen. Schrupp S. 1/2

Frigga Haug hat vollkommen recht: Es ist einfach nicht wahr, dass das Grundeinkommen aufgrund der Produktivitätssteigerung einfach der nächste logische Schritt in der Entwicklung des Kapitalismus ist, wie manchmal suggeriert wird. Die Verwirklichung der Grundeinkommensidee erfordert ein tiefes kulturelles Umdenken, das aus zwei Teilen besteht, die man nicht einzeln betrachten kann: die Idee, dass es normal ist, wenn Menschen etwas bekommen ohne etwas dafür zu

leisten, UND die Idee, dass Menschen Verantwortung für ihre Umwelt übernehmen und das Notwendige tun, auch wenn niemand sie dazu zwingt oder dafür bezahlt. Schrupp S.2

Ein garantiertes Grundeinkommen ist also keineswegs „bedingungslos“ (wie es hingegen die Domain der Aktion „bedingungslos.ch“ suggeriert), sondern es ist eben an die Bedingung gebunden, dass wir akzeptable Rahmenbedingungen schaffen, unter denen notwenige, aber nicht „profitable“ Arbeiten erledigt werden. Wer soll diese Arbeit in Zukunft tun und warum, wenn man niemanden mehr unter Androhung von Geldentzug dazu zwingen kann. Schrupp S. 2

Kriterien betreffen konkret die Ausgestaltung und Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens oder der Grundsicherung, während die Rahmenbedingungen das eigentliche Instrumentarium für geschlechtergerechte Politik darstellen, da sie dem Konzept für Armutsminderung (und Freiheitsgewinn im Falle des Grundeinkommens) gender-orientierte Begleitmaßnahmen empfehlen. Dies kommt dem immer wieder geäußerten Hinweis entgegen, dass weder Grundeinkommen noch Grundsicherung per se geschlechtergerecht bzw. –ungerecht wirken: Es kann beides sein, je nach Ausgestaltung. Worschech S. 55

Die BGE-Konzepte, die aktuell in der politischen Diskussion eingebracht werden, müssen deshalb sehr genau darauf hin analysiert werden, ob sie keine Mogelpackung darstellen und allenfalls Folgen haben, die den Traum der großen Freiheit für alle gefährden statt ihn konkret werden zu lassen. Denknetz 2011 S. 313

Voraussetzungen für ein gleichstellungsorientiertes Grundeinkommen: 1.Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Förderung der Übernahme von Familienarbeit durch Männer 2. Umorganisation im Erwerbssystem, sodass die wechselweise wie gleichzeitige Übernahme von Familien- und Erwerbsarbeit durch Frauen und Männer ohne Beeinträchtigung von Kariere- und Einkommenschancen möglich ist, 3. Ausbau qualitativ hochwertiger öffentlicher Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, 4. Einführung von Mindestlöhnen zur Verhinderung von Lohndumping, 5. Abbau der (steuerlichen) Privilegierung von Alleinverdienerehen (Ehegattensplitting), 6. Abbau geschlechtsbezogener Einkommensunterschiede, insbesondere auch durch Einkommenserhöhungen in den weiblich dominierten Sektoren, 7. Abbau der horizontalen und vertikalen Segregation des Arbeitsmarktes. Ohne die Herstellung solcher Rahmenbedingungen wird ein Grundeinkommen nicht zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen. Pimminger S. 4

Das BGE löst zudem die Frage des Zugangs zu den Produktionsmitteln, zu Wohnung und Land und zu Bildung oder zu Grundstücken nicht. Bestehende Ungleichheiten bzw. die Chancengleichheit für die Teilnahme an gesellschaftlichen Ressourcen und Reichtum bleiben bestehen. WIDE s. 6

5. Arbeit

Die Frage, welche Arbeiten als gut, schlecht oder schädlich gelten und bezahlt oder nicht bezahlt werden, wird von Vertretern des BGE dabei wie bisher dem Marktmechanismus und dem kapitalistischen Kalkül überlassen. Mit zunehmend auseinanderdriftenden

Arbeitsproduktivitäten führen diese Mechanismen zu immer größeren Ungleichheiten auch in der Erwerbsarbeit. WIDE S. 6

Das BGE verspricht eine Befreiung von Zwangsarbeit. Dabei klammert dieses Versprechen die Tatsache aus, das Lohn ein Vertragsverhältnis bedeutet und oft den Zugang zu interessanten Arbeitszusammenhänge ermöglicht (z.B. Forschung, Medien, Betätigung im sozialpolitischen Bereich etc….). WIDE S. 6

Mit den VertreterInnen eines BGE sind wir insofern einverstanden, als dass auch wir glauben, dass Menschen nicht nur arbeiten, weil sie müssen. Arbeit ist nicht nur ein Lebensbedürfnis, sondern Grundlage unseres gemeinsamen Lebens und Bestandteil des sozialen Lebens. Einer Arbeit nachzugehen, ist letztlich auch Ausdruck von Beziehungen zu anderen Menschen, von Kommunikation und Kultur. Arbeit ist nicht nur eine Lebensnotwendigkeit, um Geld für das finanzielle Auskommen aufzubringen oder um das unmittelbare Leben zu sichern. Dennoch bleiben aus unserer Sicht zwei Fragen offen: Welche gesellschaftlich notwendige Arbeit sollte kollektiv organisiert und bezahlt werden, und in welchen Bereichen der bisher unbezahlten Care-Ökonomie ist beispielsweise eine Selbstorganisation ohne Bezahlung für Arbeit möglich? Und welche anderen ökonomischen Ressourcen sind notwendig, damit Menschen überhaupt unbezahlte Care-Arbeit leisten können? Reicht dazu ein Grundeinkommen? WIDE S. 8/9

Die gesellschaftliche Organisation der notwendigen und wünschbaren Tätigkeiten sollte aber im Zentrum der Zukunftsdebatten stehen und die Bezahlung der dafür aufgewendeten Arbeitszeit angestrebt werden. WIDE S. 9

Was ist schon eine Hausfrau verglichen mit einem Facharbeiter in einem Industriewerk. Indem also Leben fast zufälliges Produkt der Produktion seiner Mittel wird, nennen wir diese eine grundsätzliche Verkehrung von Mittel und Zweck. Unter solchen Bedingungen geraten auch Sinn und Ziel des gemeinschaftlichen Lebens in ein hierarchisches Verhältnis. Haug S. 6

Zudem ist es fraglich, ob es aus feministischer Sicht wirklich wünschenswert ist, dass „Frauenarbeit“ aufgewertet würde – muss nicht der Fokus ganz eindeutig auf einer gerechteren Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern liegen? Dies wird zwar von Feministinnen meist „mitgemeint“, aber die häufig verkürzte Darstellung in Reden und Papieren lässt es oftmals als akzeptabel erscheinen, wenn Frauen weiterhin in diesen Bereichen tätig sind, diese nur endlich monetär und politisch- moralisch „anerkannt“ wären. Dass sich an dieser Anerkennung das traditionelle Rollenmodell brechen muss, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, ist eine viel weiter gehende Forderung, die aber öfter auch so deutlich ausgesprochen werden sollte. Böll S. 2

-Wenn Arbeit ausreichend bezahlt oder das finanzielle Auskommen garantiert wird, verändert dies eine Gesellschaft auf die Dauer wesentlich. Wir denken, dass diese Veränderungen in den Debatten über das BGE zu wenig diskutiert werden, und ganz besonders, was diese Veränderungen aus feministischer Sicht bedeuten können. Die Debatte ist von spekulativen Überlegungen geprägt. WIDE S. 8

Ich kann Gesellschaft nicht ohne Arbeit denken. Haug S. 12

Der Protest gegen die Zumutung, arbeiten zu sollen als Teilhabe an Gesellschaft steht irgendwie quer zur notwendigen Arbeit im Reproduktionsbereich. Haug S. 13

Das Argument, dass sich mit einem BGE die Verhandlungsposition der ArbeitnehmerInnen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen verbessern würde, ist mit Vorsicht zu geniessen. Löhne könnten gerade mit Verweis darauf, dass sie nicht existenzsichernd sein müssen, gesenkt werden. Ausserdem wird der Verweis auf die Verhandlungsposition der Arbeit, die getan werden muss, weil sie für das Wohlbefinden der Menschen grundlegend ist, nicht gerecht. Diese Arbeit ist erpressbar, wenn nicht klare gesamtgesellschaftliche Richtlinien die Bedingungen regeln. WIDE S. 6/7

5.1 Care-Ökonomie

Zunehmend stellt sich das Problem, dass vor allem Neueinsteigerinnen ins Berufsleben (junge, wiedereinsteigende Mütter und Migrant*innen), um zu einem Einkommen zu kommen, sinnlose, ökologisch zerstörerische und zunehmend prekarisierte Erwerbsarbeit leisten müssen oder zunehmend unter Bedingungen arbeiten unter denen nicht mehr gute Arbeit geleistet werden kann (v.a. Gesundheits- und Bildungswesen). Insbesondere im Care-Sektor stellt sich das akute Problem der Fremdbestimmung durch eine sinnlose, dysfunktionale Verwaltung und Organisation der Arbeit. WIDE S. 8

Implizit geht die Utopie des BGE wie viele linke oder alternative Utopien davon aus, dass die unbezahlte Care-Arbeit ein kleiner Teil der gesamten Arbeit sei und sich nach der Einführung eines BGE „von selbst“ organisiere. Dabei handelt es sich hier um ein Arbeitsvolumen, das grösser als das Gesamtvolumen der geleisteten Erwerbsarbeit ist! Diese Vorstellungen zu Care-Arbeit werden nicht dazu führen, dass es eine gerechtere Verteilung der Arbeit zwischen Frauen und Männern gibt. WIDE S. 6

Der Schein von „zu wenig Arbeit“ verdankt sich der offiziellen Nichtwahrnehmung der meisten notwendigen Tätigkeiten in der Gesellschaft im Umgang mit Menschen und mit Natur, weil sie keinen Profit bringen. Haug S. 2

In dem Bereich, in dem Menschen sich zu Menschen verhalten, stellt sich die Frage genau umgekehrt. Je mehr Zeit darauf verwendet wird, desto wahrscheinlicher, dass es gelingt. Haug S. 4

Zum Beispiel meinen Vertreter*innen des BGE, wenn sie über Arbeit sprechen, automatisch Lohnarbeit und nicht anderes. Und dann, wenn man eine andere Arbeit einführt, z.B. das, was Reproduktionsarbeit genannt wird und den sorgenden Umgang von Menschen mit Menschen meint, scheint das zunächst auch einfach ins Konzept zu passen, es kann ja im Rahmen der bedingungslosen Existenzsicherung erledigt werden. Aber wenn der Diskurs jetzt weitergeht, rutscht er wieder zurück in die Lohnarbeit wegen der Kritik an der Arbeitspflicht, die als Nötigung empfunden und eben durchs Grundeinkommen abgeschafft sein muss. Aber die „Arbeitspflicht“ existiert ja bei Reproduktions-, Pflege oder Sorgearbeit ohnehin immer. Haug S. 12

Verlagerung von Arbeit von Frauen an arme Frauen? Die Forderung nach mehr haushaltsnahen Dienstleistungen parallel zum Grundeinkommen, um eine höhere weibliche Erwerbsbeteiligung zu erreichen, ist ambivalent: Handelt es sich dabei wirklich um Empowerment im Sinne gestiegener Wahlfreiheit, sich z.B. auf der Basis des Grundeinkommens Haushaltshilfe zu organisieren, oder wäre dies nicht auch eine Art Verlagerung des Problems von Inklusion oder Exklusion von höher qualifizierten zu niedrig qualifizierten Frauen? Schließlich würden es hauptsächlich wiederum Frauen sein, die diese „Frauenarbeit“ professionell übernähmen. Das Grundeikommen befähigt und emanzipiert dann vor allen jene, die es sich leisten können, Hausarbeit auszulagern – damit wäre Exklusion nicht mehr nur geschlechtsspezifisch, sondern auch wieder stärker einkommensabhängig. Auch an diesem Punkt ist das Grundeinkommen zwar nicht die eigentliche Ursache einer solchen Entwicklung, sondern eher die Grundlage der gesamten, dynamischen Entwicklung, die in einzelnen Punkten erheblich variieren könnte. Dennoch sollte im Sinne Robeyns‘ auch daran gedacht werden, inwiefern sich die Einführung des Grundeinkommens je nach Qualifikation, sozialer Herkunft unterschiedlich auswirkt und die Geschlechtergerechtigkeit auf gesellschaftlicher Ebene beeinflusst. Böll 2/3

6. Geschlechterungerechtigkeit/Patriarchale Herrschaftsformen

-Arbeit in nichtkapitalistischen Verhältnissen ist nicht zwingend herrschaftsfrei. Außerdem bleibt in der Argumentation für das BGE ungeklärt, wer zwangsfrei und ohne Lohn die gesellschaftlich notwendige (zum Teil unangenehme) Arbeit erledigen soll. Dabei geht vergessen, dass viele Arbeiten unbedingt notwendig sind für unser Überleben und Wohlergehen. Das BGE-Konzept stellt sich die Frage nicht, wer nach der Einführung des BGE diese Arbeiten erledigen wird und wer sie zu welchen Bedingungen verrichten soll. WIDE S. 6

Bis heute werden Frauen für Mutterschaft und Sorgearbeit für Angehörige lebenslänglich ökonomisch bestraft. WIDE 8

Die strukturelle Geschlechterungleichheit resultiert im Wesentlichen aus der geschlechtsbezogenen Arbeitsteilung in männliche Erwerbsarbeit und von Frauen geleistete unbezahlte Reproduktionsarbeit (die Betreuung und Erziehung von Kindern, die Pflege von alten oder kranken Menschen, die Erhaltung der Gesunden). Feministische Wohlfahrtsstaatanalysen (bspw. Leitner 1999) haben nun nachgewiesen, dass der Sozialstaat auf die traditionelle Geschlechterordnung aufbaut und deswegen Geschlechterungleichheit reproduziert. Pimminger S. 2

Als geschlechtsneutrales Modell trifft das Grundeinkommen jedoch erst einmal die geschlechtsstrukturierte Realität. Aus Gleichstellungspolitischer Perspektive besteht der Haupteinwand gegen ein Grundeinkommen deshalb gerade in der Befürchtung, dass es durch die wegfallende Notwendigkeit der Erwerbsarbeit zu einer Retraditionalisierung kommen könnte und Frauen wieder verstärkt in den Bereich familiärer Reproduktionsarbeit verwiesen werden. Pimminger S. 3

Patriarchale Herrschaftsformen und Diskursmuster: Auch die feministische Perspektive fragt vor allem nach frauenpolitischen Konsequenzen des Grundeinkommens: werden Frauen materiell besser abgesichert als bisher, könnte

die Lohndifferenz für Frauen und Männer überwunden werden? Diese vordergründigen Fragen sind zweifelsohne wichtig, allerdings wird die hintergründige Geschlechterungleichheit dagegen deutlich seltener betont: So gehen nur wenige der Frage nach, wie geschlechtlich-kulturell bedingte Herrschaftsformen in dieser Gesellschaft konkret geändert werden könnten, oder wie der feministische Diskurs um das Grundeinkommen hier auch schon zu einer veränderten Wahrnehmung und politischen Prioritätensetzung beitragen könnte/ sollte. Die Texte der feministischen Publizistin Antje Schrupp sind hier lobenswert, aber noch zu einsame Ausnahme – ein Ansatzpunkt für die weitere Debatte! Böll 1/2

-Auch Nachhaltigkeit spielt im feministischen Diskurs eine noch zu geringe Rolle. Die Bedeutung von Bildung und eigener Sozialisation für die geschlechtersensible Wahrnehmung und Interpretation von Gesellschaft, also für die Erwartungen an Rollenmuster und das Selbstbild als Mann/Frau ist evident. Ein durch das Grundeinkommen beeinflusster „Rückfall“ in traditionelle Rollenbilder und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wäre daher nicht nur die unmittelbar betroffenen Frauen problematisch, sondern würde der Geschlechtergerechtigkeit auch langfristig schaden. Wenn Kinder aufgrund einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung oder schlicht mangelhafter Betreuungskapazitäten wieder verstärkt zu Hause erzogen würden, anstatt in qualitativ hochwertiger Betreuung zu sein, hätte das zum einen – besonders für Kinder von gering Qualifiziert oder aus bildungsfernen Haushalten – Nachteile für die Bildung der Kinder selbst, aber auch zum anderen negative Konsequenzen für die Gender-Sensibilisierung, zumal viele Kinder dann wohl eher wieder ein traditionelles Familien- und Rollenmodell vermittelt bekommen würden. Nachhaltigkeit ist deshalb auch ein Thema für die feministische Kritik. Böll S. 2

7. BGE-Debatte

Das ist es, was mich frustriert: Nicht, dass hier ein Dissens wäre, ein politischer Konflikt, denn den könnte man ja austragen. Sondern dass ein Dialog überhaupt gar nicht erst zustande kommt, weil das Thema die Männer offenbar nicht interessiert. Momentan bin ich wirklich ratlos, wie sich das ändern ließe. Schrupp 2

Wir denken jedoch, dass es einige gesellschaftspolitische Fragen gibt, die genauer diskutiert werden müssen, als dies die Debatte um die Einführung eines Grundeinkommens bis anhin getan hat. WIDE 8

So hatte ich gleich zu Beginn die Erfahrung, dass die Initiative ums BGE das Potenzial hat, zu spalten. Und in der Tat sieht man heute, einige Jahre später – in der deutschen LINKEN etwa -, dass sie als Spaltmaterial genutzt wird mit Ausgrenzung, Hass und der Lahmlegung von Politik. Haug S. 9

11. Lernprozesse initiieren

So geht es auch hier um Selbstveränderung. Linke Politik ist also auch eine Politik kultureller Veränderung in Richtung auf mehr Menschlichkeit. Haug S. 4

* Erstellt wurde dieses Papier in gemeinsamer Arbeit der Gender AG von Attac, verantwortlich für den Inhalt bin ich persönlich.